GamesLab Expertise zu Computerspielen und pädagogischer Praxis

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Ziel der Expertise ist es, einen Überblick über aktuell zugängliche Materialien, Handlungsempfehlungen und gegenwärtige pädagogische Praxis zu geben, die sich mit den Umgangsweisen von Heranwachsenden in digitalen Spielwelten beschäftigen. Das Hauptaugenmerk der Expertise liegt darauf, Zielrichtung und Themensetzung der Handlungsansätze medienpädagogisch einzuschätzen. Bei der Materialanalyse interessierte besonders, welche Anregungen und Methoden für die Auseinandersetzung mit Computerspielen formuliert werden und in welcher Form sie Handlungsempfehlungen geben. Die Praxisprojekte wurden vor allem hinsichtlich ihrer pädagogischen Ausrichtung und Methoden betrachtet. In beiden Teiluntersuchungen sollte identifiziert werden, mit welchen Formaten Heranwachsende, Eltern und pädagogische Fachkräfte angesprochen werden.

Kernergebnisse bezogen auf die analysierten Materialien: Notwendige Erweiterungen in der informationsorientierten Wissensvermittlung

Bei den untersuchten Materialien zeichnet sich ein sehr deutlicher Schwerpunkt im Hinblick auf die Vermittlung von Wissen ab. Dabei konzentriert sich die Wissensvermittlung vor allem auf zwei Bereiche: Zum einen wird grundlegendes Wissen zu digitalen Spielwelten dargelegt und Aspekte des Umgangs von Heranwachsenden mit digitalen Spielwelten erörtert. Das Ziel liegt hierbei in der Aufklärung und Sensibilisierung Erwachsener für die mediatisierte Lebenswelt von Kindern und Jugendlichen. Zum anderen liegt der Wissensvermittlung häufig auch eine problemorientierte Haltung zugrunde. Durch das Thematisieren von problembehafteten Aspekten des Spielens sollen die Adressatinnen und Adressaten der Materialien beispielsweise Wissen darüber erwerben, wie sie Risiken im Umgang mit digitalen Spielwelten vermeiden oder zumindest minimieren können. Anhand dieser Ergebnisse wird eine Reihe von Handlungsbedarfen erkennbar: Zunächst ist die Wissensvermittlung in den untersuchten Materialien häufig noch zu wenig zielgruppenadäquat umgesetzt. So wird beispielsweise kaum den Unterschieden pädagogischer Handlungsfelder (elterliche Erziehung, Jugendarbeit, Schule u. a.) Rechnung getragen. Ein Großteil der analysierten Veröffentlichungen richtet sich allgemein an Erwachsene und unterscheidet nicht weiter danach, ob es sich um Erziehungsberechtigte oder um pädagogische Fachkräfte handelt. Dabei sind die Bedürfnisse jeweils sehr unterschiedlich und komplex. Eltern benötigen vor allem alltagstaugliche Hilfestellungen für den Umgang mit Computerspielen in der Familie. In den Materialien ist hier insofern eine Leerstelle zu identifizieren, dass sich umsetzbare Vorschläge für die erzieherische Praxis in der untersuchten Stichprobe kaum finden. Und auch in Bezug auf Handreichungen für die professionelle pädagogische Praxis lässt sich eine Leerstelle ausmachen. Hier gilt es, stärker auf die unterschiedlichen Bedürfnisse und Möglichkeiten in den verschiedenen Arbeitsfeldern einzugehen und adäquate Methodenvorschläge für den beruflichen Alltag von Fachkräften in unterschiedlichen Bereichen bereitzustellen. Nur wenige Veröffentlichungen wenden sich direkt an Kinder und Jugendliche. Ist dies der Fall, so steht auch hier die Vermittlung von Wissen zu Computerspielen im Vordergrund. Um Heranwachsende dazu anzuregen, ihre Kenntnisse über Computerspiele und ihr Reflexionsvermögen auszubauen sowie ihren kompetenten Umgang mit Spielen zu fördern, wären aber zielgruppenadäquate Materialien erforderlich, die sich sowohl an den thematischen Interessen und Bedürfnissen Heranwachsender als auch an den von ihnen bevorzugten medialen Aufbereitungsformen orientieren.

Darüber hinaus liegt der Wissensvermittlung in Bezug auf die digitalen Spielwelten bei allen Zielgruppen häufig ein eher eng gefasstes Verständnis von Computerspielen zugrunde. Bisher wird in den Materialien kaum berücksichtigt, dass Computerspiele einen Teil eines größeren Medienverbundes darstellen. Nimmt man diese Perspektive ein, so ergeben sich daraus wichtige Fragen bezüglich des Datenschutzes, des Verbraucherschutzes und des Jugendschutzes, sowie der Thematisierung von Computerspielen in der Peer-Kommunikation, der Identitätsarbeit oder Partizipation an gesellschaftlichen Diskursen, die bisher nur unzureichend von den gesichteten Publikationen thematisiert werden. Gerade im Hinblick auf die Konvergenzprozesse in digitalen Spielwelten ist es erforderlich, Materialien zu entwickeln, die die Verschränkungen der Medien und von Medien- und Konsumwelt aufarbeiten und die Wahrnehmung hierfür bei Heranwachsenden wie Erwachsenen schulen. Inhaltlich greifen die meisten untersuchten Materialien bei der Wissensvermittlung noch nicht ausreichend die Motivlagen der Heranwachsenden zur Nutzung von Computerspielen auf. In Bezug auf soziale Aspekte des Spielens und insbesondere auf Vergemeinschaftungsprozesse in Onlinespielen ist zu konstatieren, dass die dazu vorliegenden Forschungsergebnisse bisher nur unzureichend Eingang in pädagogische Materialien gefunden haben. Zukünftig zu entwickelnde Veröffentlichungen sollten daher diesen Transfer leisten und einen ressourcenorientierten Blick auf den Umgang mit digitalen Spielwelten entwickeln.

Auch wenn ein besonderer Fokus der Wissensvermittlung in den Materialien darauf liegt, für Gefahren zu sensibilisieren und Risiken zu vermeiden, so erscheint beim Thema des Vielspielens der Umgang mit Begrifflichkeiten noch wenig differenziert. In diesem Zusammenhang fallen einschlägige Bezeichnungen wie ‚Computerspielsucht‘ oder ‚Abhängigkeit‘. Aus medienpädagogischer Sicht ist hier ein sensibler Umgang mit Begrifflichkeiten angebracht und es gilt, differenziert zu formulieren. An dieser Stelle sind Materialien erforderlich, die trotz ihres oftmals sehr knappen Umfangs Begrifflichkeiten achtsam einsetzen und mithilfe von Definitionen erläutern. Gerade stigmatisierende Formulierungen in Bezug auf computerspielaffine Heranwachsende sind dagegen zu vermeiden. Bei der Diskussion der Ursachen exzessiven Computerspielens sind anstelle von eindimensionalen Betrachtungsweisen differenzierte Ansätze gefordert, die die unterschiedlichen Bedingungen der Lebenswelt junger Menschen sowie individuelle Dispositionen mit in den Blick nehmen und die fachlichen Perspektiven von Pädagogik, Beratung und Psychologie miteinander verschränken.

Kernergebnisse bezogen auf die analysierten Projekte

Die gesichteten Projekte, die über die Onlinebefragung eruiert wurden, verfolgen insgesamt deutlich stärker handlungsorientierte Zugänge zum Thema Computerspiele. Bei den zahlreichen unterschiedlichen Projektformaten und -methoden, die in der untersuchten Stichprobe beschrieben werden, steht meist die aktive und kreative Auseinandersetzung mit Computerspielen im Vordergrund. In ihren Zielen setzen die Projekte vor allem an den individuellen Kompetenzen der Heranwachsenden an. Das heißt, dass bei den Teilnehmenden ein kritischer, reflektierter und kreativer Umgang mit Computerspielen erreicht werden soll.

Dabei gehen die Projekte auf unterschiedliche Zielgruppen ein und richten ihre Methoden auf diese aus. Sie erreichen im Hinblick auf Alter, Bildungshintergrund und Spielerfahrung unterschiedliche Zielgruppen. Dennoch wird anhand der Heterogenität der Zielgruppen auch eine besondere Herausforderung für pädagogische Praxisaktivitäten deutlich. Denn unter Berücksichtigung von Geschlechterdifferenzen ist danach zu fragen, wie Mädchen und junge Frauen beim Thema Computerspiele stärker adäquat angesprochen werden können. Bisher liegt der Schwerpunkt der Projekte eher auf computerspielaffinen Jungen, die neben ihrer Begeisterung für Computerspiele vor allem dann in den Fokus rücken, wenn es um problembehaftetes Spielen geht.

Bei den Projektinhalten bildet in der Regel die Perspektive der Kinder und Jugendlichen den Ausgangspunkt. Das heißt, in der praktischen pädagogischen Arbeit werden alle Aspekte, Formen und Genres von Computerspielen bearbeitet, die von den Heranwachsenden selbst thematisiert werden. Fragen eines risikobehafteten Spielverhaltens werden in diesem Zusammenhang ebenfalls behandelt. Vor allem greifen die Projekte aber im Sinne einer ressourcenorientierten Perspektive kompetenzförderliche Aspekte des Spielens auf. Vergemeinschaftungsprozesse spielen hier im Vergleich zu den untersuchten Informationsmaterialien ebenfalls eine wichtige Rolle.

Bei einem Teil der untersuchten Maßnahmen bilden Peer-to-Peer-Ansätze einen wichtigen Bestandteil des Projektkonzepts und werden als aussichtsreicher Weg der Wissensvermittlung unter Kindern und Jugendlichen aber auch zwischen Heranwachsenden und Erwachsenen beschrieben. Hierbei werden Heranwachsende als Expertinnen und Experten für Computerspiele in das Projekt mit einbezogen und erhalten als Multiplikatorinnen und Multiplikatoren die Möglichkeit, ihr fachspezifisches Knowhow an andere weiterzugeben.

Eine Kurzübersicht über die Projekte, die im Call for Project erfasst wurden, finden Sie in dieser PDF-Datei auf den Webseiten der Zeitschrift merz | medien + erziehung: www.merz-zeitschrift.de/bestpractice_computerspiele.

Handlungsbedarfe

Als Konklusion aus der Materialanalyse und den vorliegenden Informationen über Praxisprojekte zu digitalen Spielwelten ist ein wesentlicher Handlungsbedarf darin zu sehen, die Perspektive von Kindern und Jugendlichen, ihre Fragen, Interessen und Spielvorlieben, aber auch ihre Ressourcen noch stärker zu verankern. Sowohl in Bezug auf Informationsmaterialien als auch auf Projekte gilt es, zielgruppenadäquate Angebote zu schaffen, die nah an den Interessen und Nutzungsgewohnheiten Heranwachsender ausgerichtet sind. Während sich in den Projekten durchaus Ansätze finden, sie aktiv in die Gestaltung einzubeziehen und Konzepte partizipativ anzulegen, finden sich in den Informationsmaterialien noch kaum Aussagen von Kindern und Jugendlichen selbst. Einzelne Materialien arbeiten zwar mit Zitaten zur Bedeutung von Computerspielen, sie geben den Heranwachsenden aber keine Stimme im Hinblick darauf, sich beratend zu äußern. Die aktuell in der Pädagogik stark verbreiteten Peeransätze sollten auch bei der Erstellung von Materialien Anwendung finden, gerade wenn es um Materialien für Kinder und Jugendliche selbst geht.

Der Überblick zu den vorhandenen Informationsmaterialien verdeutlicht, dass sich die ressourcenorientierte Perspektive noch nicht ausreichend in den pädagogischen Handreichungen niederschlägt. Für Materialien, die sich direkt an Heranwachsende richten, ist es zentral, dass alternative, multimediale Aufbereitungsformen, die für sie attraktiver und motivierender sind, Eingang in die Konzeption von neuen Formaten finden. Zudem zeigt sich, dass es bei den Materialien für Eltern und pädagogische Fachkräfte an spezifischen Empfehlungen für deren konkrete erzieherische Praxis mangelt. Eltern benötigen vor allem Materialien, in denen sie alltagstaugliche Hilfestellungen und Unterstützung finden. Fachkräfte brauchen zum Beispiel Hinweise, wie sie Kinder und Jugendliche in die pädagogischen Prozesse mit einbeziehen und deren Perspektive auch als Ansatzpunkt für pädagogische Lösungsprozesse bei Problemlagen nutzen können.

Die Bandbreite der untersuchten Praxisprojekte zum Thema Computerspiele zeigt auf, dass inzwischen eine ganze Reihe an pädagogischen Aktivitäten existiert, die Games methodisch vielfältig zum Thema machen. Deutlicher Bedarf besteht jedoch beim Wissenstransfer bzw. bei der Übertragbarkeit der pädagogischen Modelle und beim Erreichen breiter Zielgruppen. Projektdokumentationen und Methodensammlungen, die kompetenzförderliche Aspekte und eine aktive, kreative, reflektierende sowie kritische Auseinandersetzung mit digitalen Spielwelten unterstützen und fördern, sollten häufiger für Projektverantwortliche zugänglich gemacht werden, damit sie adäquate Methoden, Anleitungen und Tutorials für ihre beruflichen Einsatzfelder finden können. Gleichzeitig gilt es, Modelle für einen Umgang mit Computerspielen in unterschiedlichen pädagogischen Tätigkeitsfeldern zu entwickeln. Dabei kann es nicht immer um umfangreiche Projekte gehen, es muss auch Anregungen für kleine Einheiten geben, die in den pädagogischen Alltag integriert werden können und trotzdem den Maximen handlungsorientierter Arbeit folgen.

Einen weiteren wichtigen Ansatzpunkt bildet die Frage nach der Bandbreite von Computerspielplattformen- und genres. So beschäftigen sich beispielsweise auch Mädchen intensiv mit Spielen, allerdings bevorzugen sie dabei oft andere Plattformen, andere Inhalte und andere Handlungsschwerpunkte als Jungen. Sowohl in pädagogischen Projekten als auch in Materialien sollte der Blick über die ausdrückliche Beschäftigung mit Computerspielen hinaus geweitet werden und es sollten beispielsweise Wertediskurse über Spiele an sich, digitale Spiele, Inhalte mobiler Medien und viele andere spielnahe Themen initiiert werden. Hier besteht etwa die Möglichkeit, auch Mädchen und junge Frauen stärker anzusprechen, gemeinsame Diskussionen von jüngeren und älteren Menschen anzustoßen oder Vielspielende mit weniger spielaffinen Kindern.

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