Character Creator – Workshopbeschreibung

Der Workshop befasst sich mit stereotypen Geschlechterrollen und Diversität in Videospielen. Beispielhaft werden Spielcharaktere aus bekannten Videospielen analysiert und eingeordnet. Anschließend werden eigene Charaktere digital erstellt und besprochen.

Das Workshopkonzept ist im Rahmen des Projektes „Play Your Role“ entstanden. Weitere Workshopkonzepte jeweils in 6 Sprachen finden sich hier.

 

ÜBERBLICK

Thema des Workshops sind die stereotype und binäre Darstellungen von männlich, beziehungsweise weiblich gelesenen Charakteren in bekannten Videospielen, der kritische Umgang mit diesen Sachverhalt und die kreative Erstellung von eigenen Avataren.

 

Der Workshop möchte die Teilnehmenden dabei unterstützen, einen kritischen Blick auf Geschlechterrollen in Videospielen zu entwickeln. Zu diesem Zweck werden gemeinsam über aktuelle, prominente Videospiele (sogenannte „AAA“-Titel) hinsichtlich des Gender-Aspekts diskutiert und anschließend via einem Charakter-Editor eigene Avatare erstellt. In einem weiteren Schritt sollen die eigens kreierten Charaktere in virtuellen Umgebungen miteinander interagieren und gemeinsam reflektiert werden.

 

Mit Hilfe von digitalen Charakter-Editoren wie Character Creator 3, wird den Teilnehmenden ermöglicht, eigene Spielcharaktere zu erstellen, ohne sich dabei an ein vorgefertigtes Format halten zu müssen. Körperliche Eigenschaften können frei gewählt und mit Posen und Gesten kombiniert werden. Auf diese Art kann eine kreative Auseinandersetzung mit dem eigenen sozialen Geschlecht und Identität erlebbar und besprechbar gemacht werden.

 

ZIELGRUPPE

  • Jugendliche von​ 14 – 21 Jahren
  • Jugendgruppe 6 – 30 Teilnehmer*innen

 

KONTEXT

Einen besonderen Mehrwert kann der Workshop für Jugendliche und junge Erwachsene bieten, die sich mit der vermeintlichen Dualität von Geschlechterrollen bzw. allgemeiner mit den Thema Diversität auseinander setzen. Das spielerische Ausprobieren einer selbst kreierten Identität kann einen geschützten Raum für das Reflektieren über die eigene Verortung schaffen. Jedoch ist auch Aufmerksamkeit und ein sensibler Umgang von Seiten der anleitenden Personen wichtig, da möglicherweise negative Erfahrungen, die bezüglich des Themas gemacht wurden, ungewollt ausgelöst werden können.

 

Während des Vortrags zu Beginn des Workshops können sexuell aufgeladene, wenn auch abstrakte, digital generierte Bilder von Körpern teil der Präsentation sein. Auf diesen Umstand sollte vorher hingewiesen und gegebenenfalls besprochen werden.

 

Im Zuge der offenen Diskussions- und Reflektionsrunden ist es erwünscht, dass die Teilnehmenden Ihre eigenen Erfahrung mit Gaming und der Gamer*innen-Szene in Bezug auf Gender-Rollen mitteilen. Es ist wichtig, dass sich die Sprechenden sicher und verstanden fühlen. Aus diesem Grund kann es hilfreich sein, zu Beginn des Workshops gemeinsame Gesprächsregeln zu definieren, um einen möglichst sicheren und diskriminierungsfreien Raum zu bieten („Safe Space“). Diese Regeln können beispielsweise auf einem Flipchart oder Aushang notiert und für die Dauer des Workshops für alle gut sichtbar platziert werden.

 

ZIELSETZUNG

Die stereotype Darstellung von „klassisch“ weiblichen oder männlichen Personen zieht sich durch die gesamte mediale Landschaft und ist selbstverständlich auch in Videospielen vertreten. Die binäre Darstellung von Geschlecht und den zugeordneten Verhaltensweisen geht weit an der gesellschaftlichen Realität vorbei. Als Gender ist in diesem Kontext das soziale Geschlecht von Menschen gemeint, also nicht an biologische Merkmale gebundene Geschlechtsaspekte. Menschen, die sich in den eng definierten Rahmen von männlich, beziehungsweise weiblich nicht wiederfinden können, sind oft Diskriminierung ausgesetzt und in den meisten Bereichen der Gesellschaft unterrepräsentiert.  So auch in Videospielen.

 

ANFORDERUNGEN (Räumlichkeiten, Medien, Materialien etc.):

Veranstaltungsort:

  • 1 großer Raum
  • Tische, Stühle, Beamer
  • Getränke, Snacks
  • Moderationsmaterial (Papier, Stifte, Marker, Reißnägel, Klebeband, etc.)
  • Notizpapier, Stifte für die Teilnehmenden
  • Flipchart zum Notieren der vereinbarten Gesprächsregeln

Medien:

  • Pro Gruppe (wir empfehlen eine Gruppengröße von 2 Personen) ein Laptop oder Desktop-Computer mit dem Programm Character Creator 3.
    Das Programm Character Creator 3 von Reallusion Inc. kann nach Aktivierung 30 Tage lang ohne Einschränkungen gratis genutzt werden. Alternativ oder nach Ablauf der Testperiode ist das Programm für aktuell 199 US$ (Stand August 2020) online hier  zu erwerben.

 

ABLAUF UND METHODEN

Phase 1: Einleitung und Übersicht (ca. 45 min)

  • Vorstellungsrunde / Ausflug auf Youtube
  • Übersicht über die Struktur und den Inhalt des gemeinsamen Workshops
  • Abfragen von ersten Erfahrungen bezüglich des Themas
  • Festlegen von Gesprächsregeln, Sensibilisierung für einen sicheren Raum (siehe KONTEXT)

 

Zu Beginn des Workshops, bietet sich eine Vorstellungsrunde an. Je nach Anzahl der Teilnehmenden und dem eigenen Zeitrahmen sollte die Ausführlichkeit bewusst gewählt sein. Fragen beziehungsweise Statements, die mit dem Thema Gaming und/oder Geschlechterrollen verknüpft sind, können während der Vorstellungsrunde vorgegeben werden. Mit diesen Fragen/Statements kann schon früh im Workshop eine grobe Übersicht über das Vorwissen der Teilnehmenden erlangt werden, auf welches im Verlauf zurückgegriffen werden kann.

 

Welches Videospiel spielst du momentan? Welches ist dein Lieblingsspiel? Welche Charaktere aus Videospielen fandest du besonders cool? Was ist für dich typisch weiblich, was typisch männlich?

 

Auch ist es spannend, einen kurzen gemeinsamen Ausflug auf Youtube zu wagen, Videos zur Erstellung von weiblichen Charakteren zu suchen und gemeinsam via Projektor zu überfliegen. Die prominentesten Videos in deutscher Sprache bedienen die stereotypen Merkmale (Stand August 2020), welche im späteren Verlauf reflektiert werden sollen.

 

Beispiele:

 

Anschließend kann der grobe Ablauf/ Inhalt des gemeinsamen Workshops dargelegt und falls möglich auch auf einer Flipchart oder ähnlichen festgehalten werden.  So haben die Teilnehmenden, aber auch die Workshopleiter*innen eine Orientierungshilfe.

 

Phase 2: Input/Präsentation (ca. 45 min)

  • Präsentation leitet an das Thema heran

Mit einer Präsentation der Workshopleiter*innen kann das Thema umrissen und auf die inhaltlichen Schwerpunkte aufmerksam gemacht werden. Screenshots von stereotyp weiblichen beziehungsweise männlichen Spielfiguren aus bekannten Titeln regen zu einer offenen Diskussion an. Folgende Fragen können dabei hilfreich sein:

 

Was bedeutet Weiblichkeit, was Männlichkeit? Warum werden in Videospielen stereotype und oft übertrieben betonte Geschlechtsmerkmale reproduziert? Was     wird als attraktiv empfunden? Wie wichtig ist die Attraktivität der Spielcharaktere?

 

Die dargestellten Charaktere bedienen meist ein binäres, archaisches, misogynes Rollenbild. Männlich gelesene Figuren sind dominant, heldenhaft, stark, muskulös, werden als handelnde Individuen dargestellt und stellen überproportional oft den Protagonisten der Spielhandlung. Weiblich gelesene Charaktere werden oft jung, hübsch, emotional, schwach, untergeben und eher passiv präsentiert. Ein bekanntes Videospiel was in diesem Kontext erwähnt werden kann ist das kostenlos spielbare „League of Legends“. „LoL“ ist seit Jahren eine feste Größe im professionellen E-Sport und kann 10 Jahre nach Erscheinen eine große Fangemeinde von 80 Millionen aktiven Spieler*innen vorweisen (Stand 2019, Quelle: https://de.wikipedia.org/wiki/League_of_Legends).

Copyright by Riot Games

 

Vergleicht man hier die weiblichen, humanoiden Charaktere mit ihren männlichen, humanoiden Kollegen, so fällt auf, dass gerade die Ersteren zum überwiegenden Teil ein schlankes, sexuelles Schönheitsideal vertreten. Bei den männlichen Spielfiguren ist die Diversität der Körperformen, Kleidung und des Verhaltens wesentlich größer. Dieser Umstand hat Auswirkungen auf die Menschen, welche diese Spiele konsumieren. Mit den Teilnehmenden können solche Effekte diskutiert werden. Passende Fragen sind:

 

Wie beeinflussen die vertretenen Schönheitsideale und Verhaltensmuster mich beziehungsweise andere Konsument*innen? Könnt ihr euch mit diesen Charakteren identifizieren?  Können sich Mädchen* und Frauen* mit den meist männlichen Hauptfiguren identifizieren?

 

So, oder so ähnlich verhält es sich in den meisten AAA-Titeln, wobei in aktuelleren Titeln diese Stereotype vermehrt gebrochen werden. Beispielhaft ist die Entwicklung der Protagonistin „Lara Croft“ aus den seit 1996 veröffentlichten Reihe „Tomb Raider“. Waren in den frühen Titeln noch absurd überzeichnete weibliche Geschlechtsmerkmale präsent, so stellen die aktuellen Vertreter der Serie eine weitaus komplexere, weniger sexualisierte und vor Allem selbstbewusst handelnde Heldin dar. Die Entwicklung hin zu dieser Art von weiblichen Charakter*innen lassen sich in branchenweit beobachten. Dieser Umstand ist ein guter Diskussionspunkt für die Teilnehmenden und ein Aufruf selber kritischer Videospiele und die enthaltenen Narrative zu konsumieren.

Image released by Square Enix

for promotional purposes.

 

Phase 3: Charaktererstellung (60-120 Minuten) 

  • Einführung in die Bedienung des Editors und Aufgabenstellung
  • Erstellen der Charaktere in Kleingruppen

Die Teilnehmenden werden in Kleingruppen aufgeteilt und setzen sich an einen PC/Laptop. Auf den Geräten sollte der Character Creator 3 installiert, aktualisiert und gestartet sein. Alternativ können sich bei ausreichend Endgeräten die Teilnehmenden auch alleine an die Erstellung von Charakteren machen. Vorteil ist bei dieser Variante ist die stärkere persönliche Note, die so erstellte Charaktere bekommen. Bei der Variante mit Kleingruppen hingegen liegt der Mehrwert in den Diskussionen und Aushandlungsprozessen unter den Teilnehmenden. Es ist ebenso ratsam, die Kleingruppen so zusammen zu stellen, dass alle Gruppen ein ähnliches technisches Know-How haben (d.h. technisch versierte Personen mit weniger erfahrenen Personen zu kombinieren). Empfohlen wird eine Gruppengröße von 2 Personen. Bevor die praktische Erstellung der Avatare beginnt, gibt der/die Workshopleiter*in eine kurze Einführung in die Bedienung des Programms. Anschließend wird gemeinsam das weitere Vorgehen besprochen. Hilfreiche Fragen können hier sein:

 

Welche Charaktere wollen wir kreieren? Sind sie humanoid oder nicht? Wie deutlich soll das Geschlecht dargestellt werden?

 

Alternativ können auch feste Aufgaben erteilt werden:

  1. Erstelle/erstellt einen Avatar
  2. Welches biologische Geschlecht, welches Gender hat die erstellte Person?
  3. Darüber nachdenken und diskutieren.
  4. Erstelle eine nicht-binäre Person (zusätzliche Frage: Muss eine nicht-binäre Person ganz “normal” aussehen?)

Zusätzlich sollte den Teilnehmenden mitgeteilt werden, dass sie ihre erstellten Charaktere im Anschluss den anderen Gruppen vorstellen sollen. Die Kleingruppen sollten sich im Zuge der Erstellung auch eine kurze Hintergrundgeschichte zu ihrem Charakter überlegen. Auch Eigenschaften, Fähigkeiten, Stärken und Schwächen können Teil dieser Überlegungen sein. Nachdem sich auf ein bestimmtes Vorgehen geeinigt wurde, kann die Arbeit in den Kleingruppen beginnen. Der/die Workshopleiter*in sollte sich für diese Phase des Workshops im Raum präsent und verfügbar sein, falls etwa Fragen zur Bedienung auftauchen sollten. Auch können erste Gespräche über die Figuren stattfinden beziehungsweise Fragen zu diesen gestellt werden. Neben einer interessierten Haltung der/ des Workshopleiter*in ist allerdings auch eine gewisse Zurückhaltung wichtig. Die eigenen Vorstellungen sollten den Teilnehmenden nicht aufgezwungen werden, da dies die Ergebnisse verfälschen würde und im schlimmsten Fall einer spannenden Diskussion im Anschluss im Wege steht.

 

Gegen Ende der Phase sollte den Teilnehmenden der Ablauf der Zeit rechtzeitig mitgeteilt werden. Dabei sollte genug Zeit für das erstellen von Screenshots sein. In dieser sollten die Charaktere in zumindest einer “typischen” und einer “untypischen” Pose zu sehen sein. Die fertigen Charaktere können dann als Projekt innerhalb des Programms zur Sicherheit gespeichert werden. Für die folgende Präsentation der Ergebnisse kann es sinnvoll sein, wenn von den einzelnen Screenshots via einem USB-Sticks auf den Computer der Workshopleiter*in transferiert werden. So können die Charaktere über den Projektor präsentiert werden.

 

Phase 4: Präsentation der erstellten Charaktere, Auswertung und Reflektion (60 Minuten)

  • Kurze Präsentation der erstellten Charaktere durch die Kleingruppen
  • Diskussionsrunde
  • Workshopauswertung: Abschlussrunde

 

Die Kleingruppen präsentieren nach einander ihre Kreationen, deren Hintergrundgeschichte und weitere Details (s.o.). Fragen der Workshopleitung und der andere Teilnehmenden sind dabei erwünscht. Zum Abschluss können auch die “untypischen” Posen gezeigt werden. Anschließend werden die Kleingruppen aufgelöst und es wird gemeinsam reflektiert. Leitfragen können dabei sein:

 

Wie hat sich die Erstellung des Charakters angefühlt? Hat das ganze Spaß     gemacht? Gab es Meinungsverschiedenheiten innerhalb der Kleingruppe? Wie wurden solche gelöst? Wer würde so einen Charakter bauen und warum? Würdet ihr euch auch für eure Lieblingsspiele komplexere Möglichkeiten zur Charaktererstellung wünschen? Was sollte sich in der Gaming-Branche/ in der  Szene ändern?

 

Abschließend wird der Workshop gemeinsam reflektiert:

 

Was nehme ich aus dem Workshop mit? Was hat mir gefallen, was nicht? Welche offenen Fragen habe ich noch?

 

OPTIONEN UND VARIATIONEN

  • Der Workshop könnte auch “virtuell” stattfinden. Dafür könnte der Workshop in sogenannte Virtual Game Spaces verlegt werden (z.B. in Mozilla Hubs/Spoke). Die erstellten Charaktere könnten hier importiert werden und anschließend miteinander “räumlich” interagieren. Das Programm Character Creator 3 bietet allerdings hier keine einfache Möglichkeit die Charaktermodelle zu übertragen an. Es müssen also Charaktere in passende Dateiformate umgewandelt werden. Das ist begrenzt möglich über einen Upload der kreierten Charaktere auf die Plattform Sketchfab. Sketchfab Modelle können dann in Mozilla Spoke importiert werden. Eine Videoanleiteung hierzu findet sich hier.
  • Alternativ könnte man den Workshop auch komplett in dem Virtual Game Space RecRoom stattfinden lassen. In RecRoom kann der eigene Avatar angepasst werden, auch wenn die Möglichkeiten weniger vielfältig sind als in Character Creator 3.
  • Innerhalb der Virtual Game Space können Ausstellungen mit den kreierten Charakteren gestaltet werden. Spannende Diskussionen zu Körperbildern und Geschlechterrollen können so orts- und zeitunabhängig auch im Nachgang des Workshops stattfinden.
  • Mit den erstellten Avataren bzw. Charakteren und ihren Hintergrundgeschichten könnte auch “Ein Schritt nach Vorn” (Siehe Beschreibung Workshopkonzept “Diskriminierung erfahren in Minetest”) durchgeführt werden. Entweder in einem “normalen” Raum, in dem die Workshopteilnehmer ihre Charaktere “darstellen”. Oder in einem Virtual Game Space, bei dem die Workshopteilnehmer die Charaktere selbst spielen.

LINKS

 

Förderhinweis

Dieses Projekt wurde aus Mitteln des Programms der Europäischen Union für Rechte, Gleichstellung und Unionsbürgerschaft (2014-2020) finanziert. Der Inhalt dieser Publikation stellt die Ansichten der Autor*innen dar und liegt in deren alleinigen Verantwortung. Die Europäische Kommission übernimmt keine Verantwortung für die Verwendung der darin enthaltenen Informationen.

Projektpartner:

Lizenz

Alle Materialien sind, falls nicht anders gekennzeichnet, unter folgender Creative Commons Lizenz verwendbar: CC BY-SA 4.0 Play Your Role / JFF