„In war not everyone is a soldier“ – „Im Krieg gibt es nicht nur Soldaten!“

This War of Mine, 11 bit Studio, System: PC und iOS

Melancholische Klänge dringen aus den Boxen, drei schwarz-weiße Porträts flackern über den Bildschirm. Zusätzlich eine kurze Erklärung, wo wir uns befinden. Wir sind in der Stadt Porogen und die drei Personen auf den Fotos bilden unsere Gruppe Überlebender eines anhaltenden Bürgerkriegs. Mehr erfahren wir als Spielende zunächst nicht.

Das polnische Entwicklerstudio 11bit Studio gibt dem Spieler oder der Spielerin absichtlich wenig Informationen an die Hand. In einer realen Situation würde uns auch niemand sagen, was wir wie zu tun haben, schon gar nicht, da wir nur einfache Zivilisten sind. Genau an dieser Prämisse setzt die Handlung von This War of Mine an.

Handlung

Im Gegensatz zu den meisten Videospielen, deren Handlung in oder während eines Krieges spielt, nehmen die Spielenden bei This War of Mine nicht die Rolle eines Soldaten, Generals oder Rebellen an, sondern die einer Gruppe von Zivilisten.

Diese Gruppe kann aus bis zu fünf Personen bestehen und hat einen Unterschlupf in einem alten zerbombten Haus eingerichtet. Sie besitzt jedoch weder Lebensmittelvorräte, Trinkwasser, Werkzeuge oder sonstige Hilfsmittel. Jede Person der Gruppe bringt, basierend auf ihrer Vorgeschichte, eine spezielle Fähigkeit mit. Katia beispielsweise war vor Ausbruch des Krieges Reporterin und kann besonders gut handeln. Darüber hinaus ist sie auf der Suche nach ihren Eltern, von denen sie seit Kriegsausbruch nichts mehr gehört hat. Es gibt aber auch noch Marko. Früher war er Feuerwehrmann, heute nutzt ihm seine kräftige Statur nur noch bei der Suche nach Lebensmitteln und Werkzeugen in der zerstörten Stadt.

Spielablauf

Wie erleben die Spielenden den Alltag in This War of Mine? Der Spielablauf ist in zwei Phasen unterteilt, Tag und Nacht. Tagsüber müssen sie sich um die Bedürfnisse der Gruppe kümmern und den Unterschlupf ausbauen. Mit ausreichend Baumaterialen ist es möglich, Werkzeuge, Möbel und eine Infrastruktur herzustellen, die das Überleben erleichtern und vielleicht sogar für ein wenig Wohnlichkeit sorgen. Im Laufe des Spiels können so Gärten, Rattenfallen, Destillerien, Kochstellen oder Regentonnen gebaut werden. Mit deren Hilfe werden Lebensmittel, Medizin oder Tauschgegenstände hergestellt. Allein mit dem Bau dieser Gerätschaften ist es jedoch nicht getan. Um Alkohol herzustellen, bedarf es zusätzlich noch der Ressourcen Zucker und Wasser, um eine Mahlzeit zu kochen wird Fleisch oder Gemüse, Wasser und etwas Brennmaterial benötigt. Das Spiel präsentiert hier ein ökonomisches System, in dem mit begrenzten Ressourcen gewirtschaftet und das Überleben gesichert werden muss. In diesen Spielphasen ähnelt es fast einer Wirtschaftssimulation. Nachts hingegen besteht die Möglichkeit zu ‚plündern‘, um Ressourcen zu sammeln. Hierfür muss zunächst entschieden werden, welches Gruppenmitglied die Plünderung übernehmen soll, wer Wache schieben muss und wer schlafen darf. Danach bleibt es uns Spielenden überlassen, welcher Ort, in der vom Krieg gezeichneten Stadt Pogoren, ‚geplündert‘ werden soll. Während dieser Streifzüge ist man ständiger Gefahr ausgesetzt und wird mit moralischen Entscheidungen konfrontiert, etwa: Dürfen einem alten Ehepaar alle Vorräte weggenommen werden, um dadurch das eigene Überleben zu sichern? Doch was ist die Alternative? Ohne Nahrungsmittel und Baumaterialien wird die eigene Gruppe den Krieg nicht überleben, was wiederum gleichbedeutend mit dem Spielende ist. Der Tod eines Gruppenmitglieds ist endgültig, zumindest für diese Partie.

Welche Auswirkungen der Tod eines Gruppenmitglieds oder das ständige Gefühl von Hunger auf das seelische Wohlergehen der Bewohnerinnen und Bewohner hat, wird durch Gedankenblasen dargestellt. So können wir an ihrer Gedankenwelt teilhaben und nachvollziehen, wie sie mit der Situation umgehen, welche Bedürfnisse sie haben und wie sie erlebte Situationen verarbeiten. Oftmals bedarf es eines Gesprächs zwischen den Personen (oder Spielfiguren), in dem sie sich gegenseitig trösten oder Mut zusprechen. Auch an anderer Stelle werden stark die Emotionen der Spielenden angesprochen, etwa wenn Kinder an der Tür läuten und um Medikamente für ihre kranke Mutter bitten.

Inszenierung

This War of Mine verfolgt dabei nicht das Ziel, die Spielerin oder den Spieler moralisch zu belehren, sondern zu zeigen, welche Konsequenzen ein Krieg für die Zivilbevölkerung mit sich bringt. Es hat auch nicht den Anspruch zu unterhalten, im Gegenteil. Jeden Tag sind wir mit den gleichen Problemen konfrontiert. Essen besorgen, Unterschlupf ausbauen und sich um das seelische Befinden der Gruppe kümmern. Dieser ständige gleichbleibende Rhythmus vermittelt ein Gefühl des Sich-auf-der-Stellebewegens. Jeden Tag fängt das Spiel von neuem an, nur jedes Mal mit noch mehr Problemen, ohne dass ein klar definiertes Ende in Sicht ist. Der Krieg in Pogoren kann nach 18 Tagen oder auch erst nach 35 Tagen, falls man so lange überlebt, vorbei sein. Vorbei ist das Spiel auch dann, wenn alle Gruppenmitglieder gestorben sind.

Auch die Grafik und das Sounddesign tragen ihren Teil zur Atmosphäre bei. Auf den ersten Blick wirkt das Spiel wie in Schwarz-Weiß gehalten, jedoch sind leichte Farbakzente noch zu erkennen, nur fehlt den Farben jegliche Wärme. Nicht nur die Grafik wirkt ernüchternd, auch die Hintergrundmusik stimmt durch ihre langsamen und ruhigen Töne melancholisch.

Inspiration

Die Absicht der Entwickler war es, das Szenario so real wie möglich darzustellen. Um dies zu gewährleisten, nutzten sie Erfahrungsberichte und Texte von Personen, die in Kriegsgebieten gelebt haben. Eine dieser Personen war zum Beispiel Emir Cerimovic. Er lebte in Sarajevo, als die Stadt 1992 während des Bosnienkriegs belagert wurde. Ein Jahr später gelang ihm und seinen Eltern die Flucht nach Frankreich, wo er noch heute lebt. Weitere Quellen waren unter anderem Berichte von Soldaten, die an posttraumatischer Belastungsstörung leiden. Die Entwickler stellen ihre Haltung gegenüber dem Krieg deutlich dar. So ist bereits auf dem Startbildschirm ein Graffitischriftzug zu sehen mit der Aussage „Fuck the War!“.

Fazit

This War of Mine zeigt ausdrucksstark, dass Videospiele in der Lage sind, sich kritisch und ernsthaft sowie anschaulich mit gesellschaftlichen Problemen zu befassen. Es romantisiert nicht die Umstände oder entfremdet sie. Das Prinzip des reinen Überlebenskampfes in einer kriegerischen Umgebung wird konsequent beibehalten. Auch der gewählte Grafikstil und die dezente Musik passen perfekt in die Grundstimmung des Spiels und tragen ihren Teil dazu bei. Das Spiel lässt die Spielenden mit vielen Fragen und Gefühlen zurück, die diese für sich selbst beantworten müssen. Dabei werden die Vorteile des Videospiels genutzt, die dieses im Vergleich zu Büchern und Filmen hat. Die Spielerinnen und Spieler sind selbst gefordert zu entscheiden, wie sie überleben möchten und was sie bereit sind zu tun, sie können sich nicht entspannt zurücklehnen und beobachten, wie andere in solchen Situationen reagieren.

Sebastian Pflüger studiert Soziale Arbeit an der Dualen Hochschule Baden-Württemberg. Derzeit ist er Praktikant in der Abteilung Praxis des JFF – Institut für Medienpädagogik in Forschung und Praxis.

Dieser Text ist zuerst in der merz | medien + erziehung 1/2015 erschienen.